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Lebend trotz Berlin (10) - Feier am Ende der Welt

Feier am Ende der Welt  Nach etwa 90 Minuten Fahrt hielt Ahanu, “er lacht” an einem Wasser und wir stiegen in ein Motorboot um. Damit ging es noch einmal eine halbe Stunde los und wir stoppten schließlich an einem Strand, an dem Zelte standen. Ich hatte völlig die Orientierung verloren und wenn er uns nicht zum Auto zurück bringen würde, war ich sicher, es nie zu finden.  Wir legten am Strand an und Ahanu sagte, er müsse kurz etwas besprechen. Zumindest übersetzte Jessi mir dieses. Kurz darauf kam ein älterer Mann zu uns. Er trug einen Federschmuck. Sein Aussehen hatte etwas würdevolles. Er richtete sein Wort an Jessi in Französischer Sprache. Jessi antwortete entsprechend. Auch er betrachtete die Feder an Jessis Hals. Wieder erfolgte ein Wortwechsel. Dann machte er eine einladende Geste zu uns beiden.  Wir traten an einen einen großen Berg von Ästen und Zweigen heran. Darum herum wimmelte es von Frauen, Männern und Kindern. Ich fragte mich, wo all diese Menschen hier fast am Ende der so genannten abgelegensten Straße Nordamerikas herkommen mochten, aber eigentlich war das auch nicht wichtig, denn die Route Transtaïga hatten wir ja eigentlich schon vor 2 Stunden verlassen.  Kinder umringten uns. Indianerinnen legten uns Feder- und anderen Schmuck um den Hals. Innerhalb kurzer Zeit hatte ich jegliche Sorge vergessen. Im Hintergrund begannen Trommeln zu schlagen. Erst langsam und zögerlich, dann immer fester. Ein nie enden wollender Takt. Dazu wurden Stimmen laut, die auch Jessi nicht verstand, wie ich mir mit einem Blick versicherte. Der Mann, der uns begrüßt hatte, entzündete das Feuer. Kinder und Frauen forderten uns zum Tanzen auf. Da ich nicht der einzige Mann war, den sie baten, willigte ich ein. Die Trommeln hatten etwas magisches. Ich verlor meine Oberbekleidung und wurde kurzerhand mit Symbolen bemalt, wie dieses jetzt die Männer sich gegenseitig malten. Jegliche Scheu wich. Einzelne Männer begannen auf einer Art Flöte oder Pfeife die Trommeln zu begleiten. Schon allein davon musste man sich mit bewegen. Ein leiser Gesang erschwoll. Die einige Frauen nahmen Jessi in Beschlag. Aus einem Federschmuck wurden viele, und als sie später erschien konnte ich sie äußerlich kaum von einer echten Indianerin unterscheiden. Auch mir wurde erneut Farbe aufgetragen, diesmal von den Frauen. Männer und Frauen begannen zu tanzen. Das Trommeln schwoll an. Dann wurden wir zum Essen zu dem alten Mann der uns begrüßt hatte und seinem Sohn, der uns hergeführt hatte, gebracht. Frauen und Männer begannen um uns herum zu tanzen. Man konnte sich diesem kaum entziehen. Als wir satt waren, wurden wir zum tanzen aufgefordert. Zu diesen Klangen beobachtete ich, dass einige in Ekstase ausbrachen und zu singen begannen. Scheinbar in einer uralten Sprache. Auch uns hielt es nicht lange, und sobald es die Höfflichkeit erlaubte, tanzten wir auch. Der Raum nahm uns ein, die Atmosphäre gefangen. Und dann geschah etwas, über dass ich in diesem Moment gar nicht nachdachte. Immer wieder legten sich Krieger auf den Boden und Frauen stiegen über sie hinweg. Nein, sie stiegen nicht wirklich über sie hinweg. Ich sah, wie sie auf ihre Rücken traten. Die Frauen legten die einzelnen Krieger dort hin und dann stiegen sie über sie hinweg. Das ganze war eingehüllt in Harmonie und Klänge. Ich hörte Wölfe in der Nähe heulen. Es hatte etwas magisches. Ich konnte mich noch eine ganze Weile drücken, aber schließlich landete ich doch in der Reihe. Ich spürte, wie die Frauen über mich liefen.  Ich sah wie Jessica von den Frauen völlig vereinnahmt wurde. Sie war nicht Gast des Stammes. Sie war ein Teil davon. Und da ich zu ihr gehörte, wurde ich dieses auch. Immer wieder wurde das Federgeschenk berührt. Wir wurden mitgerissen. Von den Trommeln, der Atmosphäre. Das Trampling dauerte eine Weile. Auch ich kam immer wieder dran, konnte mich nicht entziehen. Ahanu flüsterte Jessica etwas ins Ohr, und sie übersetzte es mir: “Es ist Teil der jährlichen Schmerzprüfung!” “Oh Scheiße, da bin ich also bei den Profis gelandet.” Wir konnten uns beide ein Grinsen nicht verkneifen. “Scheint so.” “Und das am Ende der Welt.” Langsam kam das Adrenalin in meinen Körper. Es wurde der ein oder andere Happen gereicht.  Dann begannen etwas abseits des Feuers einige Showkämpfe, wo wir drum herum einen Kreis bildeten. Ich empfand es als große Ehre, hier dabei sein zu dürfen. “Lust auf eine Show?”, fragte ich Jessi schließlich. Sie sah mich an: “Gnade heißt Tempo drosseln, Stop heißt Stop! In beide Richtungen!” Ich nickte Jessi zu. Sie blieb sitzen. Wir verfolgten das nächste Spiel. Es war ein Ringkampf zwischen einem alten und einem jungen Mann, den der junge verlor. Der alte schien die bessere Technik zu haben. Immer wieder wurden Jagdszenen nachgestellt, und auch immer wieder wurden vermeindliche Gefangene vorgeführt, die sich entweder befreien oder beweisen mussten, dass sie Schmerz aushielten. Die Atmosphäre war berauschend.  Jessica erschien mit seinem Seil und einer Rute neben mir. Das Seil wurde mir um den Hals gelegt. Jessica nahm Augenkontakt mit dem Stammesältesten und seinem Sohn auf. Sie erhielt nach einiger Zeit ein Nicken. Wir traten vor. Jessi zog mich hinter sich in den Kreis. Es war zu hören, wie einige lachten. In der Mitte des Kreises angekommen, ging ich auf die Knie und küsste den Stiefel, den Jessi mir darbot. Wieder ging ein Raunen durch die Runde. Ich stand auf. Jessica zog mich am Seil zu sich hoch: “Versprich mir, dass Du mir Signale gibst!” Ich antwortete mit einem Kuss. Dann stieß sie mich weg und ich entfernte mich, soweit es die Leine zuließ. Das Raunen der Menge war das letzte, was ich von außen wahrnahm. Jetzt gab es nur noch uns beide. Es begann ein Tanz mit leichten Schlägen auf den Oberkörper. Erst leichte Schläge, die dann fester wurden. Mal griff ich sie an, mal sie mich. Es war unser Spiel. Und die Atmosphäre unheimlich. Ein Tanz, den wir beide taten. Ich sah, wenn ich zurück weichen musste und Jessi sah dieses ebenso. Ein Trommeln setzte verstärkt ein, als beteiligte sich der ganze Stamm daran. Ich nahm es im Hintergrund war, aber ich hatte nur Augen für meine Spielpartnerin. Sie drängte mich zurück, wich dann selbst zurück. Dann reckte ich herausfordernd den Kopf.  Und irgendwann in diesem Spiel geschah es, dass ich nicht zurück wich. Was nun folgte, waren die härtesten Schläge in meinem Leben. Jessi hatte ihre Grenze erreicht. Sofort reagierte ich, wich etwas zurück, ertrug die Schläge, die ich mir eingehandelt hatte. Dann wich ich ganz zurück. Doch Jessicas Leine hielt mich fest. Sie hatte sich gefasst. Ich kniete mich nieder und küsste ihren Fuß erneut, während sie den anderen auf meinen Rücken stellte. Sie zog mich hoch, gab mir einen Kuss auf den Mund. Dann nahm sie meine Hand und wir verbeugten uns kurz.  Wir traten auf unseren Platz und setzten uns. Ich warf einige Blicke zum Stammesführer, weil ich merkte, dass er mich wiederholt ansah. Es folgten gemeinsame Tänze zu Trommeln und Gesang. Zwei Krieger traten auf und rangen miteinander. Es folgten erneute Showkämpfe, die auch den Sinn zu haben schienen, das Adrenalin im Körper zu steigern. Mir schwirrte fast der Kopf. Und doch. Auch mein Spiegel wurde noch erhöht durch Dinge, die Jessi mit mir tat. Und im Rausch bettelte ich um neue Tritte auch zwischen die Beine.  Das Feuer war heruntergebrannt. Die Glut wurde auf eine Fläche verteilt. Und einige meiner neuen Freunde schritten hindurch. Barfuss. Sollte ich dieses auch tun? Ich schaute Jessi an: “Kommst Du mit?” Sie gab mir einen Kuss: “Am Ende der Welt mit Dir durchs Feuer zu laufen, wäre mir eine Ehre!” Ich zog meine Schuhe und meine Schiene aus. Wir tanzen noch eine Weile miteinander. Wieder waren die Wölfe zu hören. Ahanu flüsterte Jessi etwas zu. Er schien verstanden zu haben, was wir vorhatten. “Wir gehen über grünes Gras”, flüsterte sie mir zu und fasste meine Hand.  Wir erwachten bei Morgengrauen, als Ahanu uns weckte. Die Trommeln klangen noch immer. Er brachte uns erst mit dem Boot zum Jeep und dann mit diesem zu unserem Auto. 

 
 
 

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