Lebend trotz Berlin (9) - Final Day
- Jessi Lui
- 4. Sept. 2020
- 4 Min. Lesezeit
Final Day
Wir verabschiedeten uns von Umut und stiegen wieder ins Auto. Es war spät an diesem Morgen und wir hatten noch einige Kilometer vor uns. Wir hatten gemeinsam gefrühstückt. Dann wollte Umut los, und auch uns war das ganz recht gewesen. Ich steuerte den Wagen nach Osten. Im Radio lief R.E.M. Ich hatte meine Lieblingsband eingelegt. “Around the sun.” Und die CD begann mit dem wunderschönen Lied “Leaving New York”. Jessi legte ihren Kopf in meinen Schoß. “Noch ist es nicht so weit, dass wir dieses hier verlassen. Noch haben wir einen ganzen Tag zusammen.” “Ja, und ich freue mich darauf. “I love You.”, wiederholte ich Michael Stipes Worte. Ich drückte auf zurück und wir hörten uns das Lied noch einmal an. “Warst Du schon mal in New York?” “Bis jetzt noch nicht. Und Du?” “Was denkst Du?” Ich schaute sie von der Seite an. “Was denkst Du?” “Bestimmt!” Jessi nickte. “Hat was die Stadt.” “Bei meiner nächsten Kanadareise werde ich dort einen kurzen Zwischenstopp machen!” “Dann müssen wir zu den Eisbären nach Churchill, wie Umut gesagt hat!” “Findest Du?” “Klar!” “Und Du kommst mit?” Jessi blickte mich von der Seite an: “Klar!” Ich reichte ihr meine Hand: “Hand drauf?” Im Radio begann “Outsider”. Just in diesem Moment: Ich gebe das mal Deutsch wieder: “Du bringst mich zu dem Restaurant, wo wir uns zuerst trafen…. Als du mir erzählt hast, was du wusstest. Im Moment verloren… Ein neuer Tag ist geboren.” “Du wirst von Dir aus wiederkommen.”, meinte Jessi. Ihr Kopf schmiegte sich an mich und sie sang mit: “Sie verstehen nicht, sie wissen nicht, was du meinst. Sie verstehen es nicht, ich will schreien. Ich möchte wieder atmen, ich möchte träumen. Ich möchte ein Zitat von Martin Luther King veröffentlichen ‘ich habe keine Angst’” Meine Hand fasste ihr Haar und streichelte es. Ich lenkte das Auto sicher weiter. Ihr Kopf lag auf mir. “Darf ich so liegen?”, fragte sie mich. Ich war etwas überrascht von der Frage: “Ja bitte, aber warum fragst Du?” “Weil Du wieder “weiß nicht” sagen darfst!” Auf der CD startete: “Make it all ok!” mit dem Text “Its a long long road.” Und das passte so genau. “Danke für diese wunderschönen Tage mit Dir!” Ich streichelte ihr Haar. “Wenn ich Dir den Himmel anbiete, darfst Du dann bleiben.” Songtext. “Das werden wir sehen.” Wir hörten gemeinsam die CD. Ich fühlte mich belebt, ich fühlte mich glücklich. Und die Kilometer wanderten hinter uns. Als sie CD das erste Mal durchgelaufen war, nahm Jessi den Kopf von meinem Schoß. Sie griff meine Hand, und ich musste mit der linken weiter steuern. Normalerweise hätte ich das nicht gemacht, aber sie zwang mich in gewisser Weise dazu. Aber die Hand war locker, und sie blieb es auch. Relativ jedenfalls, soweit man bei einer spastischen Lähmung von locker reden konnte. Hin und wieder musste ich jedoch die rechte zur Hilfe nehmen, wobei Jessi diese immer wieder vom Lenkrad nahm, wenn sie das Gefühl hatte, dass es möglich war. Normalerweise machte es mir ja nichts aus, auch mit links zu fahren. Das hatte ich ja lange geübt, aber auf Dauer wurde dieses schon anstrengend. Vor allem, weil ich sie kaum entlasten konnte, und die Straße hatte schon einige Kurven und der Schotter machte es nicht einfacher. Wir wurden ganz schön durchgeschüttelt, was sich auf meine Muskelspannung auswirkte. Meine Hand lag locker in Jessicas Fingern, aber sobald ich Anstalten machte, nach etwas anderem zu greifen außer der Schaltung, zwang sie mich zurück in ihren Schoß. Wobei von locker konnte eigentlich nicht die Rede sein, mein ganzer Körper war verspannt. Mir begann der Schweiß vom Gesicht zu laufen, was sie mit einem Biss auf ihre Unterlippe quittierte. Schließlich musste ich den Wagen stoppen. “Tut mir leid Jessi. Ich kann nicht mehr! Darf ich wieder die rechte Hand benutzen?” Sie stuppste meine Nase. Ihre Finger hatten sie frei gegeben. “Du hast lange genug durchgehalten.” “Danke!” Ich griff nach dem Gang und legte ihn wieder ein. Meinen linken Arm zog ich an meinen Körper heran. Ich versuchte, sie etwas zu entspannen, so weit dieses möglich war. “Leaving New York” erklang gerade wieder. Der Kanon klang wunderschön. Ich steuerte das Auto sicher über die Schotterstraße. Inklusive einem Abstecher nach Chemin Laforge 1, einem Stausee, waren wir über 9 Stunden unterwegs und der Tag neigte sich dem Ende zu.
In Brisay meinten wir unser Tagesendziel erreicht zu haben, aber es kam anders. Dort begegneten wir jemandem. Es war ein Mann in unserem Alter. Seine Hautfabe war etwas dunkler als unsere. Wir hielten neben ihm, als er gerade mit etwas abzuschließen schien.
Jessi begann einen Smalltalk. Er trat an uns heran, und Jessi deutete mit Gesten und auf Französisch auf die Umgebung. Dem Mann schien etwas aufzufallen. Er trat an Jessi heran. Seine Hand glitt nach vorne zu Jessis Hals. Ich war schon bereit, ihr beizuspringen, auch wenn die Geeste eigentlich nichts bedrohliches hatte. Ich sah, wie er die Feder fasste und sanft über sie strich. Er machte eine Geste, die ich nicht verstand. Dazu sagte er etwas auf französisch, was ich nicht verstand. Ich hörte bei Jessi nur “femme” heraus. Er verneigte sich.
Jessi übersetzte mir nach einiger Ungeduld, dass wir gerade eingeladen wurden.
Wir ließen das Auto abgeschlossen stehen und folgten ihm zu seinem Auto.
Ich stieg hinten ein, Jessi vorne. Es folgte eine etwa zweistündige Fahrt auf Wegen, die ich nicht als solche angesehen hätte. Aber der Mann schien die Gegend und die Strecke genau zu kennen. “Wir sind zu einer Feier an einem Ursprungsort eingeladen!”, teilte mir die Dame mit.
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